Vorwort aus "Das Buch Josef"

von Anja Witzke

"Wunder" kündet das Schild an der schlichten Holztüre, die sich öffnet zu einem skurrilen Kabinett aus Regalen, Kisten und Kästen, vollgestopft mit Kostümen und Kuriositäten, bewohnt von monströsen Wesen, die den Besucher aus großen Augen anstarren.

Josef Pretterers Werkstatt ist tatsächlich eine Wunderkammer. Denn aus Schaumstoff, Fantasie und Farbe erschafft er hier stets aufs Neue seltsame, aberwitzige, scheue, dämonische, verschrobene, anarchische, erbarmungswürdige Figuren, die seine zahlreichen Kabarettprogramme von "Sauber eingschenkt" bis Gen-ial" bevölkern. Figuren, denen er selbst auf der Bühne Leben einhaucht, Körper und Stimme leiht und zahlreiche Dialekte angedeihen lässt, die er als Kind dem Radio abgelauscht hat. Am liebsten ist ihm das Bairische. "Denn in keinem anderen Dialekt kann man komplizierte Inhalte so gut auf den Punkt bringen", meint der gebürtige Rheinländer, den es vor 30 Jahren nach München verschlagen hat. Komplizierte Inhalte auf den Punkt gebracht: Genau das zeichnet Josef Pretterers Arbeit, seine Bühnenprogramme aus. Ob es um Liebe oder Tod geht, um Politik oder Religion, um Wissenschaft oder Moral, um Bier oder Glück: Wenn Josef Pretterers Puppen ihre wundersamen Geschichten erzählen, wenn sie hadern, zürnen, provozieren, verzweifeln, sich sehnen und wundlieben, durch Albträume spuken, das Universum vernichten oder manchmal auch retten, dann kann sich das Publikum kaum sattsehen an ihrer kreativen, bizarren Farbenpracht und Vielgestalt, an ihrer kühnen Detailverliebtheit. Doch immer gibt es da auch einen Aha-Effekt, unaufdringlich eingewoben in ein feinmaschiges Netz aus Wort und Aktion, Tragik und Komik, Rebellion und Poesie. Josef Pretterer findet seine Themen überall: Pflegenotstand, Gentechnik, Glücksverheißung, Machtmissbrauch, Außenseitertum, Umweltproblematik.
In seinem Kunstlabor extrahiert er daraus kleine kabarettistische Dramen – und setzt seine Welterklärungsversuche mit seinem Puppenpanoptikum so in Szene, dass sie bisweilen Beckettsches Ausmaß erreichen.

Josef Pretterer spielt mit den Puppen wie mit den Emotionen des Zuschauers. Er setzt das Schrille gegen das Zarte und das Kauzige gegen die Kümmernis, paart Wahnwitz mit Wut und Absurditäten mit allzu Realem. Und er agiert auf der Bühne so präzise mit seinen Figuren, dass er fast hinter ihnen zu verschwinden scheint. Nagg und Nell, Geiz und Gier, Macht und Gewalt, ein Neandertaler und Mutter Natur, Gustav Grunzerl und Super-Killer-Kid, Gerda von Schwanensee und Pater Gottfried, die Todesangst, das armselige Kreuz und all die anderen: Sie alle halten uns mit ihren groben, überlebensgroßen Gesichtern den Spiegel vor. Wir sind irritiert. Wir wundern uns. Wir staunen. Und wir lachen – bis uns das Lachen im Hals stecken bleibt.


Anja Witzke