Artikel Süddeutsche Zeitung Nr.252
vom Mittwoch, 02.November 2005, Seite 47

Das Kreuz mit dem Herrn

Der kleine Kosmos des Kabarettisten Josef Pretterer:
Mit Puppen im Dialog über das Abendland

Gottvater ist wütend. Der Herr Sohn! Jesusmaria, so ein verzogenes Früchtchen!
Und undankbar auch noch. Ein ganzes Universum hat ER erschaffen,
im Handumdrehen aus dem Nichts, und für wen das alles?
Doch nicht für sich, weiß Gott nicht!
"Für Dich, mein Junge", krächzt der Himmelvater. "Du sollst das alles mal übernehmen." Aber der Gottessohn denkt nicht daran. "Ich zieh aus. Auf die Erde." Das hat dem Senior noch gefehlt. Sein Sohn will wieder unter die Menschen.
Will ihnen helfen. Das ist doch schon einmal schief gegangen. "Und ich muss Dich dann wieder raushauen." Es hilft nichts. Der Junge will weg.

Gut möglich, dass Spaziergängern, die jüngst in den Isarauen lustwandelten, der himmliche Vater-Sohn-Konflikt bekannt vorkommt. Dort nämlich schreitet zuweilen ein Mann mit wirrem, weißgrauem Harrschopf den Fluss entlang und spricht und schimpf und streitet mit sich selbst. Anlass zur Besorgnis beseht nicht. Da ist nur jemand, der seine Arbeit macht. Josef Pretterer heißt er. Der Mann, Jahrgang ´48, hat eine Menge ausprobiert in seinem bisherigen Leben, und jetzt ist er Kabarettist.
Ein ungewöhlicher noch dazu. Auf der Bühne erscheint er mit komischen Schaumstoff-Figuren, groß wie er selbst, und denen ist ins Gesicht geschrieben, was sie verkörpern. Zum Beispiel "Die Gewalt": ein Kopf voller Hörner, halb Rhinozeros, halb Krieg-der-Sterne-Monster. Oder "Die Macht": Guckt ein wenig dümmlich in die Welt, so wie jemand, der leicht zu missbrauchen ist. Mit ihnen wird er vors Publikum treten, wird ihnen seine Stimme leihen für ihre ins Philosophische driftenden Wortgefechte, die, führt man sie auf ihren Ursprung zurück, eines gemeinsam haben: Sie sind an der Isar entstanden.
Tatsächlich, Josef Pretterer, schreibt seine Texte am Fluss. Das heißt, er schreibt sie gerade nicht. Er denkt sie sich aus, erprobt sie beim Herumspazieren, nicht achtend, dass ihn Passanten für gaga halten. Nach drei, vier Nachmittagen an der frischen Luft sind sie im Kopf gespreichert. "Noch funktioniert die Festplatte zwischen meinen Ohren. Würde ich das alles aufschreiben, ginge die Spontaneität verloren."
Auf der Festplatte hat er soeben sein viertes Programm bespeichert, das heute im Theater im Fraunhofer Premiere hat. "So ein Kreuz" nennt er es. Wie immer bei Pretterer geht es nicht um Tagespolitik, nicht um schwarz-rote Schnittmengen oder Stoibers gefühlte Kanzlerschaft, sondern um das christlich-abendländische Grundsatzprogramm, dessen Umsetzung sowohl bei Gott als auch bei seinen Schäfchen Missfallen auslöst. Was den Herrn im Himmel betrifft, so möchte er dem Treiben auf der Erde ein Ende bereiten, ein Ende mit Schrecken. Aber da gibt es noch seinen Angestellten, den Hausmeister des Universums, der die göttlichen Pläne zu hintertreiben versucht. Schon bei der Sintflut war ihm das gelungen, als er im letzten Moment den Stöpsel herauszog. Mit leichter Hand zieht Pretterer einen Bogen von Christi Geburt zur Gegenwart, wobei ihm die Figur der resoluten Herbergsmutter Suleika Schmitz gute Dienste leistet.Sie nimmt nicht nur ein Quartier suchendes Paar aus Nazareth auf, sondern pflegt überdies die regionale Küche: Falafel, Couscous, Rheinischer Sauerbraten und so. Jede Menge Ärger hat sie auch, wie überhaupt in Pretterers Kosmos einiges schief läuft, vor allem wegen der Religion. Es ist schon ein Kreuz. "Das Christentum wollte eine bessere Welt schaffen", sagt Pretterer, "und hat das Gegenteil erreicht".
Man weiß spätesten seit Bruno Jonas und Sigi Zimmerschied, beide Passau, dass Kabarett im christkatholischen Millieu besonders gut gedeiht. Pretterers Passau ist der kleine Ort Buisdorf bei Siegburg. Im dortigen Elternhaus ging es sehr fromm zu, und weil daraus strenge moralische Prinzipien resultierten, war dem Knaben Josef die Sache bald vermiest. Mit vierzehn begann er eine Lehre als technischer Zeichner, später studierte er Illustration in Köln. Eines Tages ist er auf einem Frachter nach Kolumbien gefahren. Er konnte weder Spanisch noch Englisch, aber das war egal. Mit Bus oder per Anhalter hat er das Land erkundet, endlich frei, endlich sein eigener Herr. Irgendwie kam man immer durch. Auf dem Rücken trug er eine Mappe mit seinen Malereien, "ich sah aus wie ein Schmetterling". Als er die Blätter an der Kunstakademie in Bogotá zur Begutachtung vorlegte, avancierte er noch am selben Tag zum Gastdozenten. In seiner Wohnung hatte er einen Mann namens Jaime Arenas einquartiert, der war ein Guerillero, der nicht mehr mitmachen wollte beim bewaffneten Kampf. Gute Zeiten waren das. Aber dann haben sie Jaime Arenas erschossen. Wahrscheinlich ein Sühnemord der Guerilla, Pretterer weiß es nicht so genau. Man riet ihm so schnell wie möglich zu verschwinden.
Das waren die wilden Jahre. In Deutschland dann: Ehe, Kinder, Broterwerb als Illustrator. Seiner Frau zuliebe ist er nach München gezogen. Fürs Fernsehen machte er Trickfilme und Bildergeschichten, etliche Geschöpfe, die in der "Sesamstraße" oder der "Sendung mit der Maus" ihr Wesen trieben, hat er kreiert. Einmal kam ein Angebot für einen gut bezahlten Job auf der Handwerksmesse. Auf einem Messestand für gesunde Ernähung sollte er als Lockvogel fungieren, wobei die Verlockung darin bestand, dass er Karikaturen von Besuchern anfertigen würde. Pretterer unterschrieb und stellte dann fest, dass er absolut kein Talent daür hatte. Um dem Vertrag irgenwie Genüge zu tun erschien er nach schlafloser Nacht mit einer Puppe auf der Messe. Den Auftraggebern "fiel erstmal die Klappe herunter", was sich aber legte, als Pretterer und seiner Puppe hinreißende Dialoge über gesunde Ernähung gelangen.
Man darf das ruhig als den Beginn seiner Kabarett-Laufbahn sehen, wenngleich noch einiges hinzukam. Die Idee vor allem, die Sache mit der Puppe auszubauen und mit einem größeren Ensemble selbst gebastelter Figuren auf der Bühne zu erscheinen. Für das Personal seines neuesten Stücks hat er ein Jahr lang Schaumstoff geschnitten, Zähne aus Modelliermasse im Backofen gebrannt oder das Dreiecksauge des lieben Gotts geformt. Dabei hat er sich überlegt, wie sie sprechen werden. Bayerisch? Kölsch? Sächsisch? Josef Pretterer kriegt jede Mundart hin. Trotzdem ist ihm vor der Premiere mulmig: "Erstmals mach´ ich ein Programm ohne Rücksicht auf Verluste."

Josef Pretterer "So ein Kreuz". Von 2. bis 19. November, jeweils von Mittwoch bis Samstag, 20 Uhr, Theater im Fraunhofer.
Wolfgang Görl