So ein Kreuz


Heute Abend retten wir die Welt

"Der Chef hat keinen Bock mehr." Das verheißt nichts Gutes. Zumal, wenn der Hausmeister des Universums das sagt. Als er das letzte Mal in dieser Stimmung war, da schickte er - Sie erinnern sich?! - die Sintflut. Und nur weil der Hausmeister seinem Kumpel Noah ("ein begabter Heimwerker") einen Tipp gegeben hatte, überlebten ein paar Geschöpfe. Na gut, der Hausmeister hat ein bisschen nachgeholfen, hat rechtzeitig den Stöpsel gezogen. Und ER - hihi - hat den Junior der Sabotage verdächtigt. Dann war das mit den Zwölf Geboten (zwei sind auf dem Weg nach unten leider weggebrochen). Dann die Sache mit dem Junior. Und jetzt ist Gott schon wieder in einer kritischen Stimmung. "Ein Wunder muss her", fordert der Hausmeister.
Josef Pretterer steckt in diesem blauen Kittel. Er tritt im Rahmen der Kabaretttage an, die Menschheit zu retten - und wo könnte man das besser als in der Neuen Welt? Wüst sieht er aus mit diesen grauen Haaren, die in alle Richtungen abstehen.
Mit dieser Glasbausteinbrille, aus deren Tiefe er Uta, Matthias oder Manfred heranzoomt, weil man die Welt schließlich nicht allein retten kann.
Außerdem treten auf: Gottvater und -sohn, die übrigens wie die Herbergsmutter Suleika Schmitz und die Aromatherapeutin Gerda vom Schwanenborn jeweils zusammen in einer Transporttasche wohnen, die Verkündigungsengel Xaver und Bertold, ein larmoyantes Kreuz, ein Bauer, eine Pfarrerin, das gruselige Paar Macht und Gewalt sowie eine fantastische Nummer - ein russischer Reliquienhändler,
der nicht nur Gottes verschollene Gebote, sondern auch Pilatus' Hände und Goliaths kleine Zehe im Angebot hat. Alles natürlich voller "Magic Power".

Mit diesen wunderschönen Figuren, die zum größten Teil aus Schaumstoff bestehen, bestreitet Pretterer seinen außergewöhnlichen Abend rund um existenzielle Themen wie Religion und Macht. Böse, witzig, provokant, versponnen, philosophisch, hintersinnig, vergnüglich ist er. Was fürs Auge. Und vor allem: mit Sinn für theatrale Feinheiten (wie das gesummte "Großer Gott, wir loben dich"). Pretterer zetert und wütet, schmeichelt und gurrt und rasselt perfekt in Darth-Vader-Manier.

Man muss ihn fragen, woher er kommt, so brillant beherrscht er alle Dialekte, die er sich in der Kindheit vom Radio abgelauscht hat: Josef Pretterer wurde 1948 im Rheinland geboren, aber seine Werkstatt steht heute in München. Für seine über 40 Figuren braucht er einen Extra-Raum. Pretterer schreibt keine Texte. Sie entstehen bei Spaziergängen an der Isar. Aber zuerst erschafft er seine Figuren. Rund ein Jahr dauert die Arbeit an so einem Programm, erzählt er. Gerade fängt er ein neues an zum Thema Genmanipulation. Klingt nach genügend Stoff, die Welt nochmal zu retten.

Donaukurier
Ingolstadt

 

Ein Hausmeister rettet die Welt

Josef Pretterer begeistert das Publikum mit seinem sehr menschlichen Einblick ins himmlische Geschehen

Wehend weiße Haare umwirren ihn: den himmlischen Hausmeister im blauen Kittel, der trotz extrem verminderter Sehkraft, die er mit Hilfe flaschenbodenähnlicher Brillengläser auszugleichen sucht, ausnehmend scharf sieht. Denn er ist nah dran an der göttlichen Weisheit, werkelt für Gottvater, berät und besänftigt ihn, zeigt sich einfühlsam bei Donnerworten zum eigensinnigen Sohn und verhindert sogar das Schlimmste für die Erdenkinder, wenn es hoch her geht und die große Flut alles zu verschlingen droht.

Josef Pretterer spielte die Rolle des gewitzten Weltretters und gab dem Publikum in der Aula der Hauptschule in Poing mit lebensgroßen Schaumstoffpuppen, die er zum Sprechen und Gestikulieren brachte, sächsisch menschelnde Einblicke ins biblisch-himmlische Geschehen um „Senior“ und „Junior“ und die andere „Größen“ wie Moses, Noah, Abraham.

„So ein Kreuz“ heißt das Programm und wortwitzig befeuerte er seinen Ausflug ins christliche Gedankengut in kritischen, ironischen, humorvollen oder Nonsens-Salven mit allem, was die deutsche Sprache so rund um das Kreuz zu bieten hat: Kreuzzug und Kreuzfahrt fanden dabei ebenso schnell eine gemeinsame Spur wie Gipfelkreuz sich mit kreuzunglücklich und dem Luxuskreuzer verband. Tiefsinnige Steigerung dann die warnenden Worte Gottvaters zum Sohn, der zu den Menschen auf die Erde will: „Pass auf, die legen dich aufs Kreuz“.

Eine faszinierende Welt des Figurenspiels bot Pretterer mit seinen Puppen und ihren übergroßen Gesichtern. In Dialogen und Szenen gelingt es ihm, den magischen Reiz von Illusion und Imagination in kurzer Zeit wirken zu lassen: Obwohl er immer sichtbar bleibt agieren für den Zuschauer nur noch seine Figuren. Ihr Aussehen korrespondiert mit dem, was sie verkörpern. So steht das gehörnte Monstergesicht für die Gewalt, wenn sie der Macht den Glauben an das Gute zerstört. Die grelle Lippenschminke gehört der Hotelbesitzerin von Bethlehem, die dem Paar aus Nazareth den Stall mit Duftkerzen, Radiator und Gardinen gemütlich macht.
Und ganz und gar nicht engelsgleich sind die Gesichter vom einfältigen Metzger Xaver und dem schwulen Gottfried, die sich zum Casting als Verkündigungsengel bewerben.

In wechselndem Dialekt färbt Pretterer seine Figuren ein und legt sie dem Publikum ans Herz. Letzteres wurde übrigens mit seiner universellen Energie für die semigöttlichen Hausmeisterwunder dringend gebraucht. Nach diesen lustvollen Erleuchtungen und köstlichen Eingebungen galt dann jedenfalls an diesen Abend nicht, dass das Leben auch ein Kreuz sein kann.

Sabine Radloff
Süddeutsche Zeitung