Schön krank

Die Talkshow


Süddeutsche Zeitung Freitag, 3. November 2000

Puppen spielen
Figurentheater als Kabarett? Josef Pretterer ist nicht nur Mike Mücke, der Showmaster, der endlich Quote bringen soll. Dank seiner selbst gebauten Figuren schlüpft er auch noch in die Rolle von Grete Schmitz, der Klofrau aus dem Lippschen, die schon alle Krankheiten am eigenen Leibe erfahren hat, oder in die Pater Gottfrieds, der seine prägendsten Erfahrungen auf einer Lepra-Station in Afrika machte. Pretterer ist Bestattungsunternehmer, Esoterik-Tante und linke Bazille. Er vertreibt Organe im Einkaufswagen auf dem Schwarzmarkt und spielt die Werbepausen seiner fiktiven Sendung gleich mit: "Deutschländer-Würstchen". Schlussendlich, als nicht mehr zu toppenden Studiogast, gibt er den leibhaftigen "Hausmeister des Universums", mit dem nicht einmal Mike Mücke ein Gespräch vor der Sendung führen wollte.
Das ist nicht neu: Puppen für die Großen. Pretterers Figuren allerdings haben es in sich. Sie sind fies und originell, detailverliebt – und schön. In seiner boshaften Talkshow zum Thema Krankheit (die Flieges und Beckmanns lassen grüßen) im Theater im Frauenhofer gelingt dem Sprecher und Spieler nicht weniger als ein zeitgemäßer Rundumschlag durch sämtliche Lebenslagen und -lügen, Fernsehkanäle und Dialektfärbungen, die unsere kleine Republik zu bieten hat. Heulsusen wandeln sich dort zu "Weinköniginnen", Bestattungen geraten zum Event, und dass die Ur- in Wirklichkeit eine Buchstabensuppe war, die wir jetzt auslöffeln müssen, überrascht keinen wirklich: "Wir haben den Container Erde fest im Blick", verrät der Universumshausmeister en passant.
"Schön krank" heißt Josef Pretterers atemlose Monstershow: das sind zweieinhalb vor Idee und Witz nur so blitzende Stunden. Kleine Längen seien der Premieren-Aufführung verziehen – den Riesenspaß mag man sich auch zweimal ansehen (noch bis zum 18. November)-
Matthias Kuhn
Main-Post 28. November 2000, Würzburg

Der Münchner Puppenspieler Josef Pretterer zeigte „Schön krank“ im Theater am Neunerplatz
Komische Randfiguren

Grotesk und skurril ist das Panoptikum lebensgroßer Figuren, mit dem der Münchner Puppenspieler Josef Pretterer den Gastspielreigen im frisch renovierten Theater am Neunerplatz in Würzburg eröffnete.
Es sind Randfiguren der Gesellschaft – Außenseiter, Beschädigte, Verletzte, Kranke, Alte –, die er mit ihren seelischen und körperlichen Gebrechen und Macken, ihren beinahe unglaublichen Lebensgeschichten und Schicksalen vorstellt. „Schön krank“ heißt dann folgerichtig das Programm, das mit dem Themenspektrum Krankheit, Alter, Sterben, Tod wie kaum ein zweites zur Jahreszeit passt. Und doch gehört es nicht in die Schublade „Trübsinnig-dapressiv“. Dank Pretterers Kunst werden seine Puppen nicht nur lebendig, sondern entwickeln jeweils eigene, vor allem durch die Sprache geprägte Individualität. Wie er im Dialog mit seinen Figuren Sprachgestus und ganz verschiedene Dialekte, Intonation und Tempo variiert ist außergewöhnlich und überaus komisch zugleich.
Josef Pretterer spielt mit uns und unserer Empathie für seine Mitleid heischenden Puppen, indem er das Widersinnige-Groteske ihrer imaginären Lebensläufe zuspitzt.
Er zeigt die Schwerverletzte Helga Gümpel als nur noch durch die Medizintechnik zusammengehaltene Körperhülle, den senilen Hallig-Pfarrer Pater Gottfried im fortgeschrittenen Alzheimer-Zustand, die Kölnerin Grete Schmitz als „Frau mit allen Krankheiten“ und als Gegenpol die Supertherapeutin Gerda, die mit ihrem sanft-soften Psycho-Sprech vor allem die innere Heilung forciert.
Dass man mit diesem Grusel-Kabinett keine Quotenerfolge im Fernsehen feiern kann – wie es die nicht ganz schlüssige Rahmenhandlung zeigt – ist noch verständlich. Nicht erklärlich ist es, dass dieses nicht alltägliche Kleinkunst-Highlight im Neunerplatz vor halb vollem Haus stattfand. Um so heftiger war der verdiente Applaus.
Josef Pretterer und seine Puppen kommen nochmal ins Theater am Neunerplatz: Am 30. und 31. März 2001 sowie am 1. April.
Manfred Kunz
Süddeutsche Zeitung / Ebersberg Montag, 5. Februar 2001

Dialog mit der Hirnschale
Josef Pretterer brilliert im Anzinger „Weinbeisser“

Seine Fernseherfahrung kann er nicht verleugnen, der Josef Pretterer. Und so forderte er am Freitag Abend im Anzinger Weinbeisser, als Fernsehtalkmaster „Mike Mücke“, erst einmal Vorschuss-Applaus vom gedrängt sitzenden Publikum. Den bekam er auch prompt, mit Getrampel
und Geschrei, genau wie im richtigen Fernsehleben, wo die Stimmungs-animatoren vor den Studiogästen tanzen, wie die Flöhe in ihrem Zirkus.
Fernsehzirkus wollte Pretterer auch persiflieren. Die folgenden Talks mit seinen, aus Schaumstoff und Nessel gefertigten, schauerlichen Puppen, hätten eine solche Rahmenhandlung jedoch entbehren können.
Was er da mit seinen vom Leben gezeichneten Figuren an Dialogen ablieferte, ist schonungsloser als viele Reality-Shows und so hemmungs-los überzeichnet, dass die Gäste auch ohne Animation schallend lachten.
Dialektbegabt wie er ist, gibt Pretterer jeder Figur eine eigene Sprache, während er selbst sich im österreichischem Slang und dem Charm eines Musikantenstadl-Moderators bescheidet. Einzig als „Iwan der freundliche“ lässt er seine Puppen ruhen und begibt sich mit Pelzmütze und Rucksack nach „Deitschland“, weil großes Russland ist arm und kleines „Deitschland“ so reich.
So breitet er seine aus Tschetschenien beschafften Waren vor seinen interessierten Zuschauern aus. Denn Iwan „labt vom Verkauf und Ausverkauf und hat viel Angebot-Sonder“. So auch Ersatzorgane zur Implantation, wie Augen aller Größen und Farben und die Schrumpfleber von Boris Jelzin. Von den zwei Nieren, die er anbieten wollte hatte er allerdings nur noch eine, denn Wege in Russland sind weit, und er
musste sich eine mit viel Zwiebeln braten.
Der makaberste Puppenkopf gehörte Helga Gümpel, das Fragment eines schweren Verkehrsunfalls. Das Mädchen mit dem halben Unterkiefer und
der offenen Hirnschale konnte sich nur mittels einer Hirn implantierten Elektronik mit dem Talkmaster unterhalten. Diese Figur war so aberwitzig, dass es wirklich eines Könners bedurfte, um aus dem Entsetzen schwarzen Humor zu machen.
Die Erlebnisse des überdimensionalen Bandwurmes gab es als Zugabe.
Er schildert sein Leben im Darm eines Prominenten, zu dem sich immer irgendwelche Leute rektalen Zutritt verschaffen wollten, so dass er sich lieber bis zum Magen vorarbeitete. Von den Einfällen, die Pretterer an einem Abend verschießt, könnte eine TV-Produktion ohne Probleme eine Serie mit Bandwurmlänge drehen
Wolfram Müller
Süddeutsche Zeitung / Ebersberg Montag, 5. Februar 2001

Anzing
Humor, schön krank
Josef Pretterer hat die zweidimensionalität des Illustrators verlassen und eine Puppenwelt geschaffen, die skurriler kaum sein könnte. Seine Geschöpfe, denen er am Freitag Abend im Weinbeisser Leben einhauchte, sind von phantastischer Hässlichkeit und geistig oder körperlich so verunstaltet, dass ihr Schicksal dem Publikum nicht gleichgültig bleiben kann. Was die teils überlebensgroßen Figuren an Schicksalsschlägenerlitten, hat sie für ein langes Puppenleben gezeichnet.
Pretterer hat hier eindimensionale Figuren geschaffen, die, Karikaturen gleich, auf wenige charakteristische Merkmale reduziert sind und so suggestiv auf den Betrachter wirken, das er den Akteur selbst bald nicht mehr wahrnimmt. Mehr kann ein Puppenspieler nicht erreichen.
Wie sagte schon ein scharfzüngiger Literat der zwanziger Jahre: „Richtige Menschen sind selten, aber es laufen eine Menge Karikaturen davon herum!“ Die Toleranz, die Schwächen solcher Karikaturen zu ertragen, die sich selbst der Häme der Überlegenen preisgeben, lässt sich an Pretterers Figuren lernen.
Wolfram Müller
Süddeutsche Zeitung 30. April 2002, Pullach

Kampf um die Quote
Josef Pretterer parodiert in Pullach die tägliche Talkshow

Eigentlich ist die Realsatire, die täglich in Form von Talkshows in unsere Wohnstuben flimmert, nicht parodierbar, weil man meinen sollte, dass jeder halbwegs vernünftige Mensch durchschaut, dass sich hier Menschen mit ihrem Leid zur Volksbelustigung und mithin zum Affen machen. Josef Pretterer, Kabarettist und Puppenspieler, wagte sich an diese Parodie und treibt tatsächlich auf die Spitze, was eigentlich
kaum zu toppen ist.
Wie ein lästiges Insekt
Pretterer nutzt dabei die Mittel des guten alten Kasperltheaters, das sein Publikum einbezieht und damit statt der Belehrung die weit stärkere Kraft des Selbsterkennens nutzt. Er lud dazu sein Publikum in der Raben-Bühne quasi ins Studio, demonstrierte alle „Anschmeiße“ der berufsmäßigen Animateure, die den Laden motivieren, ehe die Kamera läuft, und begann dann als Moderator Mike Mücke seinen Kampf um die Quote. Natürlich heißt der gute Mann Mücke, weil eigentlich ein anderes lästiges Insekt gemeint ist.
Entsprechend sind die Gäste, die dem Publikum vorgesetzt werden. Da ist eine Art „Pater Teresa“, der immer dann lieber schweigt, wenn seine vorgeblichen Wunderheilungen hinterfragt werden. Da ist eine Frau, die alle Krankheiten bereits durchlebt haben will und da ist schließlich der gnadenlose Depressive, der seinen Job als Sargträger verloren hat, weil immer ihm kondoliert wurde, an Stelle der Trauergäste. Gerade er, für Mücke eigentlich der ideale Quotenbringer schlechthin, gönnt dem Moderator nicht die Superchance schlagartig anschwellenden Zuschauerinteresses, weil er sich niederträchtigerweise in der Kulisse erschießt, statt publikumswirksam vor laufender Kamera. Um angesichts solchen Pechs die Quote doch noch zu retten, schleppt Mücke ein Unfallopfer vor das Publikum, das noch am Tropf hängt, nicht einmal reden kann und trotzdem erklärtermaßen nie gezeigt würde, wenn sie das nicht unbedingt gewollt hätte. Andersrum hätte es wohl auch wenig geholfen in einer Branche, in der die Quote mehr zählt als der Mensch. Dieser hässlichen Fratze entreißt Pretterer ihre auf schönen und munteren Ausdruck getrimmte Larve.
Anders als im wirklichen Leben zerrt Pretterer keine Freiwilligen vors Publikum, sondern lebensgroße Handpuppen, die er im branchentypischen betulich-einschmeichelnden Ton zur öffentlichen Bloßstellung ermuntert. Kurz, Pretterer spielt alle Rollen selbst, bis hin zu jenem Wesen aus dem Universum, von dem ein gewisser Herr Pastor als Sendungsgast bislang nur träumen darf. Anders als in der TV-Realsatire stimmt bei Herrn Mücke die Quote allerdings am Ende nicht, weshalb er die Fliege machen muss.
Bedauerlicherweise stimmte die Quote auch in der Rabenbühne nicht so recht. Vermutlich wollten sich die Pullacher ganz einfach die Augen nicht öffnen lassen für die wahre Realität der Talkshows, die man sich halt täglich so einzieht.
Martina A. Klaus