Herzversagen

(Ein Stück Leben)


Süddeutsche Zeitung Nr. 64 / Dienstag, 18. März 1997

An der Gurgel des guten Geschmacks

Puppenspieler Josef Pretterer sorgt im "Weinbeisser"
für "Kopfsalat und Herzversagen"

Soviel steht fest: Der Pfarrer hat weniger Zähne als die Todesangst, dafür ein Auge mehr als das letzte Stündlein. Sehen können alle drei nicht, und wenn jemand beißt, dann nicht einer von ihnen, sondern Josef Pretterer. Er krallt sich fest an der Gurgel des guten Geschmacks, saugt sie aus, die Norm, und hinterläßt am Ende nur ein Skelett vom guten Stück, das allgemein als Leben bekannt ist.
"Kopfsalat und Herzversagen" heißt das Stück, mit dem er im Anzinger "Weinbeisser" seine zwölf Puppen im Waschbecken des Alltags nach Dreck wühlen und auch finden läßt. Es ist ein Stück Leben aus Kunststoff, und doch so natürlich. Sein oder Nichtsein ohne Konservierungsstoffe, das Haltbarkeitsdatum des Lebens schon längst abgelaufen. „Auch wenn Du nicht nach mir verlangst, ich komm zu dir, die Todesangst.“
Die Todesangst, das ist die erste Figur, die der Münchner Zeichner und Puppenbauer Josef Pretterer erweckt. Nur mit beiden Armen schlüpft der 49jährige in den Kunststoffkörper, und doch verschwindet er ganz. Es ist die Faszination des Puppenspiels, der Reiz der Imagination, der aus Erwachsenen kleine Kinder macht. Josef Pretterer steht versetzt hinter seiner Puppe, spricht, und doch ist er nicht mehr anwesend. Die Figur alleine lebt, selbst, wenn sich nur der Unterkiefer und der linke Arm der Puppe bewegt. Man entdeckt ein Schmunzeln, ein verkniffenes Lächeln, ein Hochziehen der Stirn auf dem Kunststoffgesicht, und schon ist man gefangen von der Illusion.
Zum einen liegt diese Magie an den Puppen selbst. Die großen Gesichter sind grob kaschiert, in den Falten und Furchen fängt sich Licht und Schatten. So wird aus einer leichten Bewegung der ganzen Figur ein kleiner Wimpernschlag. Das ist aber nur ein Grund. Das Erwachen der Phantasie liegt an den Puppen selbst, die jede für sich ein Stückchen Leben verkörpern. Es sind Randexistenzen, und doch trägt jeder Mensch ein Stückchen der dargestellten Eigenschaften in sich, erkennt sich wieder und lacht doch. Ein bißchen Kleingeist, ein Stückchen Gehässigkeit, ein wenig Sinn für Recht und Ordnung.
Mit einer Mischung aus verdammt gutem makabren Humor, richtig schönem schlechten Geschmack, beißenden Boshaftigkeiten, aber auch mit platten Witzen führt Pretterer dem Publikum den Spiegel vors Gesicht. Da wird herzhaft gelacht, wenn der letzte Augenblick im Pflegeheim vermißt wird, auch wenn der Tod in unserer Gesellschaft eigentlich immer noch tabu ist. Da bleibt die gute Laune nicht im Halse stecken, wenn ein ehemaliger Soldat vom Krieg, "von unserem Dienst, unserer Pflicht" spricht. "Ein schöner Kerl ist das", bemerkt gar ein Gast, als ein deutscher Schäferhund mit typischen Seitenscheitel auftritt. Der Schrecken sitzt tief, als plötzlich von "Kronen der göttlichen Schöpfung" und „Gralshüter des wahren Deutschtums" gekläfft wird. "Ich warte draussen auf euch", verabschiedet sich der Schreckenshund genauso wie die Todesangst. Und doch dauert es noch ein bißchen, bis das letzte Stündlein erscheint. "Die Welt ist schlimmer als sie aussieht", heißt es. "Macht das Beste daraus", rät Pretterer zum Schluß. Und da hat er Recht. Soviel steht fest.
Michael Bremmer
Kölnische Rundschau Dienstag, 6. Juni 2000



Josef Pretterers böse Puppen in der Comedia

Ein Geselle mit spitzen Zähnchen

Für den Tod gibt es kein Verschnaufen, er ist immer im Einsatz, auch in der Urlaubszeit, wenn das Chaos auf den Autobahnen ausbricht. In der Comedia schüttete der kleine Geselle mit dem runden Kinderkopf und den gefährlichen spitzen Zähnchen am Wochenende sein Herz aus. Und ein bisschen mag er auch damit spekuliert haben, dass den ein oder anderen Zuhörer seiner freimütigen Bekenntnisse vielleicht doch noch ein „herzversagen“ ereilen würde. Denn zwei Kandidaten soll er noch gesucht haben, um sein tägliches Soll zu erfüllen. An Bosheit lässt der makabere Humor von Josef Pretterer nichts zu wünschen übrig. Aber es ist ja gar nicht der Pretterer Josef, sondern es sind seine Puppen, die so ungeschminkt über die Annehmlichkeiten des Todes und die Mühsal des Lebens plaudern. Auf das Doppelte des menschlichen Maßes sind die Köpfe der Puppen angeschwollen, die mit ihren großen Augenpartien das anwesende Publikum hypnotisch in Bann ziehen. Ein Panoptikum schräger Typen, die sich doch nah am Leben bewegen, bietet Pretterer. In München hat er sich mit seinen Charakteroriginalen wie der harmoniesüchtigen Therapeutin Gerda von Schwanensee oder Adi und Bella, den beiden deutschen Schäferhunden, schon einen legänderen Ruf erworben. In Köln trumpfte Pretterer mit seinem Hubert, einem schlitzohrigen kölschen Reiseführer, und dessen Oma auf – einer Klofrau, die durch ihre Menschenkenntnisse und die allzu genaue Beschreibung ihres Jobs bestach. Die Rahmenhandlung, die Pretterer und seine Puppen zu den Geschichten dieser gestandenen Persönlichkeiten führt, besteht aus dem Dialog eines Ehepaars im Pflegeheim.
Die beiden alten Käuze erinnern sich noch einmal an einige Lebensstationen, die dann von den imposanten Puppen zum Leben erweckt werden. Pretterer brilliert durch seine überzeugende Beherrschung deutscher Dialekte von der Waterkant bis in die Alpen. Da könnte mancher Immi, der in Köln gerne dazu gehören möchte, von Pretterers Zunge noch etwas lernen. Nicht zuletzt ist das Spiel der Puppen ein Erlebnis, weil Pretterer das besondere Talent besitzt, Trauer, Komik und Bosheit miteinander in Beziehung zu setzen.
Thomas Linden
Münchner Merkur Nr. 147 Montag, 30. Juni 2003



Bis in den Abgrund

Puppenspieler Josef Pretterer in Höhenried

Zwie „Scheißhaufen“, die kuscheln wollen, im Dialog. Ein blutrünstiger Köter, der „Adi“ heißt und, wie er die Zähne fletscht, stark an Hitler erinnert. Ein türkischer Straßenkehrer, der radebrechend feststellt: „Cheffe brauche Schäfe-hunde!“ Die Realität erzeugt gerade in ihren absurdesten und tragischsten Momenten eine seltsame Sehnsucht nach befreiender Komik. Der Zeichner und Puppenspieler Josef Pretterer, am Freitag mit seinem Programm „Herzversagen“ in der Klinik Höhenried zu Gast, ist ein Meister solcher Auflösungen.
Es sind schonungslose Bestandsaufnahmen des Lebens, die doch allesamt Hoffnung auf Linderung der Zustände andeuten: Der Fernseh- und Hörfunk-erfahrene Pretterer führt seine gebrochenen Figuren als Summe von Schicksalslaunen vor, als Zwischenbilanz höchst menschlicher Unvollkommenheiten und Versäumnisse. Der Mensch, so könnte die Diagnose lauten versagt am Herzen.
Das alte Paar im Pflegeheim, das nur noch auf den Tod warten scheint, geht dem Zuschauer (in Höhenried leider nur ein knappes Dutzend) besonders nahe. Er, längst bar aller Illusionen und zur neben ihm liegenden Frau nur noch garstig; sie zehrend von romantischen Erinnerungen, will endlich ihren Frieden und vor allem eines: viel schlafen. Haben die Herzen hier bereits endgültig versagt? Pretterer, der selber jahrelang im Pflegedienst gearbeitet hat, weiß wovon er spricht und sprechen lässt.
Er streut diese Szenen verwelkter Liebe und bitterer Erkenntnis zwischen die Auftritte der anderen deformierten Gestalten, bilder nebenbei das ganze schrille Leben ab, in all seiner Kauzigkeit und auch in einigen überlebten Daseinsformen – von der Kölschen Klofrau zum ostpreußischen alten Kameraden, von der Berliner Schrippe bis zum bayerischen Bierseidel leiht der Dialektvirtuose seinen Charakter-gruppen Stimme, immer mit Hingabe und Liebe zu seinen Geschöpfen. Und so ist auch seine Botschaft zu verstehen, wenn man ihm denn eine unterstellen mag: Leute auch wenn ihr noch so in der Sch… sitzt – versagt einander nicht Euer Herz!
Thomas Lochte
Main-Post 26. November 2001



Albtraum der Realität

"Herzversagen" im Theater am Neunerplatz

"Durch Lachen entsteht die richtige Mischung aus Gefühl und Verstand." Sagt zumindest eine Figur von Josef Pretterer, der mit seinem Stück "Herzversagen" zu Gast im Würzburger Theater am Neunerplatz war. Ob das nun stimmt, mag man bezweifeln. Gelacht wurde dennoch viel an diesem Abend.
Pretterer spielt mit lebensgroßen Puppen. Ausgangspunkt seiner Geschichten sind Gespräche zwischen dem Ehepaar Nagg und Nell. Die liegen im Pflegeheim und warten auf ihren Tod. Sie träumen davon, was hätte sein können, oder schwelgen in Erinnerungen. Sie denken an eine Wallfahrt nach Lourdes zurück. Mitreisende werden lebendig. Wie Pater Gottfried, der in norddeutschem Dialekt verkündet: „Ich hatte schon bald eine Vision, ich geh in die Mission“. Immer wieder wechseln Gespräche – die nicht selten Sticheleien enthalten – der zwei Alten mit Szenen mit Gestalten aus der Vergangenheit ab. Nacheinander sieht man so erst den Reiseleiter Hubert, der mit typischen Kaffeefahrt-Sprüchen aufwartet, dann seine Mutter,
(die für Nagg ein „Vollweib“ war) und schließlich seinen Vater, der über die Jugend räsoniert; tja damals…
Die Übergänge sind geschickt gemacht. Pretterer spricht teilweise schon mit den Figuren, bevor sie auf der Bühne zu sehen sind. Es ist beein-druckend, wie schnell und perfekt der Künstler die Personen und damit
die Charaktere wechselt. Er entpuppt sich als wahrere Stimmen-künstler. Genauso schnell wechseln auch die Stimmungen. Da gibt es bedrückende Momente, beispielsweise wenn Nell sagt: „Ich schlafe ein und befinde mich im Albtraum.
Ich wache auf und befinde mich im nächsten Albtraum – dem Albtraum der Realität.“
Mit Gesellschaftskritik wird nicht gespart. Skurril wird es spätestens dann,
wenn eine Semmel im schönsten Berlinerisch aus dem Nähkästchen plaudert. Zweifellos ein Highlight ist die Therapeutin, die kurzerhand das Publikum zur Therapiegruppe erklärt und Anleitungen zu praktischen Übungen gibt. Ja, da löst sich so manche Spannung.
Pretterer versteht es, mit seinen Puppen so glaubhaft zu agieren, dass das letzte Gespräch zwischen Nagg und Nell die Zuschauer vor Rührung verstummen lässt. Doch dann bricht begeisterter Beifall aus, der mit einer Zugabe belohnt wird.
Kerstin Bonfig