Münchner Merkur Donnerstag, 29. November 2001
"Die bitteren Vorwürfe der Kreaturen"
Portrait von Josef Pretterer
800 Volkssänger waren im Jahre 1914 in der Stadt München gemeldet, darunter Karl Valentin, Hans Blädel und der Weiß Ferdl. Dass auch heute noch allerhand humoristische Lieder, Vorträge und Szenen in der selben Region verfasst, inszeniert und vorgetragen werden, soll die Serie "Satirische Ansichten" dokumentieren. Vorgestellt werden berühmte Kabarettisten aber auch weniger bekannte Künstler.
Der Stil mag sich im Lauf der Jahrzehnte stark verändert haben, aus "Kare und Lucki" sind "Erkan & Stefan" geworden. Aber Hans Blädels Wahlspruch "Lachens an Augenblick mit!" haben sich immer noch viele Münchner Künstler verinnerlicht.
Er bezeichnet sich selbst gerne als "Spätberufener": "Wenn man mit fünfzig Jahren noch mal ganz von vorne anfängt", meint er "dann muss es klappen. Sonst führt das in die Altersdepression."
Bei Josef Pretterer hat es geklappt: Nach seinem Debüt "Herzversagen" überschlugen sich die Kritiker mit Lob und Anerkennung. Seither gilt Pretterer als einer der vielversprechendsten "Nachwuchstalente".
Wenn der nebenberufliche Kinderbuch-Illustrator auf der Bühne erscheint, lässt er im wahrsten Sinne des Wortes die Puppen tanzen. Wie bei einer Monstershow hängen die leblosen Körper am Bühnenrand auf Kleiderständern. Mit beiden Armen schlüpft er in die Puppen und erweckt sie mit den verschiedensten Dialekten zum Leben. Der Puppenspieler, obwohl noch sichtbar, verschwindet völlig.
Die selbstgebauten Figuren sind nicht unbedingt Sympathieträger, sondern eher verunstaltete Kreaturen, die an Leben und Umwelt kranken. Seine ersten Hauptdarsteller waren "Nagg" und "Nell"
(in Anlehnung an Becketts "Endspiel"). Gemeinsam siechen sie in einem Altersheim vor sich hin und warten auf den Tod. Mit bitteren Vorwürfen resümieren sie über ihr ungelebtes Leben und über die verpassten Gelegenheiten. Pretterer spielt ihre Geschichte mit viel schwarzem Humor und liebevollem Zynismus, so dass seine Charaktere niemals lächerlich oder rührselig wirken.

Die Idee zu diesem Stück kam dem gebürtigen Rheinländer zu einer Zeit, als er als Nachtpfleger in einem Altersheim jobbte. "Die Leute dort haben eines gemeinsam, und das ist die Trauer und Wut über ihre verpassten Chancen."
Pretterers Stärke liegt vor allem in seinem Improvisationstalent.
Es gibt kein Drehbuch, vor der Premiere gibt es keine Probe. "Erst baue ich mir meine Figuren", erklärt der Wahl Münchner, "und dann überlege ich mir einen Geschichte für sie, die jeden Abend neu zusammengesetzt und variiert wird.
In dem neuen Stück "Schön krank" bietet sich dazu viel Gelegenheit: Als Talkshow-Moderator Mike Mücke lädt er sich ein regelrechtes Gruselkabinett von Gästen ein, die mit ihren Krankheiten und ihrem Erscheinungsbild geradezu nach Mitleid heischen. Als Vorlage für sene Satire diente die Sendung "Fliege", deren gleichnamiger Moderator für Pretterer ihm mit seiner "emotionalen Abzocke und pastoralen Güte" gehörig auf die Nerven geht.
Mit dem Programm "Schön krank" tritt Josef Pretterer am 1. und 2.12. im Theater Soul City auf. Karten unter 089/61 45 39 02.
Tanja Borberg